– Redebeitrag auf der Kundgebung “Gegen jeden Antisemitismus” in Mainz am 08.11.2023 –
Am Vorabend des 9.11., des Jahrestags der Novemberpogrome 1938, ist es schwer, angemessene Worte für die Terrorangriffe der islamistischen Hamas am 7. Oktober, vor einem Monat, zu finden. Das größte Pogrom an Jüdinnen und Juden seit der Shoah, bei dem gezielt Zivilist*innen ermordet, vergewaltigt und entführt wurden und unter anderem ein Rave und mehrere Kibbuzim überfallen wurden, kann eigentlich nur entsetztes Schweigen und Trauer erzeugen.
Gerade Gruppen oder Personen, die sich als emanzipatorisch, progressiv oder allgemein als links verstehen und sich häufig auch Antifaschist*innen nennen, sollten sich mit den Opfern der (proto-)faschistischen Hamas ohne Umschweife solidarisch erklären.
Keine Worte zu finden ist aber leider nicht der Grund, aus dem sich einige linke Gruppen sowohl darüber als auch über den Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde in Berlin und die unzähligen weiteren Angriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen der letzten Wochen eher in Schweigen hüllen.
Seltsam laut ist es nämlich in den Sozialen Medien, in vielen linken Szeneblättern und auch auf der Straße. Allerdings werden hier die abscheulichen Taten der Hamas gerechtfertigt, oft beschönigt und teilweise regelrecht gefeiert. Worten folgen häufig Taten, und so häufen sich auch wieder antisemitische Vorfälle in Deutschland und überall auf der Welt – und das noch bevor Israel überhaupt militärisch auf den Angriff reagierte. Auch bei vielen, die sich mehr oder weniger aufrichtig von der Hamas distanzieren, hat die angebliche “Israelkritik” wieder einmal Hochkonjunktur.
Wenn immer wieder die alte Leier davon ausgepackt wird, dass man ‘Israel ja gar nicht mehr kritisieren dürfe’, ist das schlichtweg gelogen. Erstens wird Israel — und dazu noch Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt — permanent von allen Seiten kritisiert; zweitens wäre es durchaus möglich, bestimmte Aspekte der israelischen Politik zu kritisieren, ohne dabei antisemitische Stereotype zu bedienen. Dies zeigten nicht zuletzt israelische Bürgerinnen und Bürger bei den Massenprotesten gegen die aktuelle rechte Regierung vor wenigen Monaten. Doch darum geht es denjenigen gar nicht, die jetzt endlich, ganz ohne schlechtes Gewissen, ungehemmt ihren Antisemitismus herausschreien und ausleben möchten, nach dem Motto: “Das wird man doch wohl noch sagen dürfen…”.
Wer aber Israel, ganz offensichtlich ohne jegliches historisches Bewußtsein, als ‘Apartheidsstaat’ bezeichnet, redet damit völlig neben der Realität her und relativiert in einem Atemzug noch die Verbrechen unter den tatsächlichen Kolonialherrschaften. Wer die vernichtungs-antisemitischen, terroristischen Angriffe der Hamas als ‘legitimen Befreiungskampf’ rechtfertigt oder als praktische ‘Dekolonialisierung’ abfeiert; wer Israel das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht abspricht und in alter Manier der Täter-Opfer-Umkehr des ‘Völkermordes’ an Palästinenser:innen bezichtigt, dem geht es dabei weder um das Wohl der palästinensischen Zivilbevölkerung, noch um irgendeine Art von Befreiung, dem geht es nur um eines: das Ausleben der eigenen antisemitischen Projektionen und Aggressionen gegenüber Jüdinnen und Juden.
Dabei machen sich auch Linke immer wieder zu willfährigen Helfern islamistischer Terrorpropaganda. So etwa in der Nacht zum 18. Oktober, als sich eine Explosion auf einem Krankenhausgelände im Gaza-Streifen ereignete. 30 Minuten nach dem Vorfall stand für nicht wenige, Linke weltweit, wie auch in Deutschland, fest: Israel sei schuld und habe hunderte, wenn nicht gar tausende Palästinenser:innen in einem Luftschlag ermordet. Auch große Medienhäuser schrieben die Hamas-Erklärung eins zu eins ab, ohne weitere Verifikationen. Es kam noch in der Nacht weltweit zu Ausschreitungen, zu Angriffen auf israelische und jüdische Einrichtungen. Auch in Berlin wütete über Stunden ein Mob durch die Straßen, auf ein jüdisches Gemeindezentrum flogen Molotow-Cocktails.
Dabei waren kurze Zeit nach dem auslösenden Vorfall schon Zweifel an der Geschichte angebracht. Spätestens am nächsten Morgen verdichteten sich die Informationen: Eine Rakete der zweiten großen Terrororganisation im Gazastreifen, des Islamischen Dschihads, hatte auf ihrem Weg in Richtung Tel-Aviv einen technischen Defekt und schlug im Gaza-Streifen selbst ein. Das Ausmaß des Schadens wurde dann zumindest von den großen Medienhäusern nach unten korrigiert.
Der Schaden, der durch die Reproduktion von Hamas-Narrativen in Echtzeit bereits entstanden war, bleibt jedoch; der antisemitische Hass wurde bereits befeuert. Richtigstellungen und Entschuldigungen dafür, sich zur helfenden Hand von Islamisten gemacht zu haben, sucht man in der linken Szene indes vergebens.
Ein kurzer Blick auf einige der Palästina-solidarischen Gruppen und Kundgebungen in der Rhein-Main-Region zeigt bereits, dass diese vielmehr anti-israelisch als pro-palästinensisch ausgerichtet sind. Zudem haben auch die sich selbst als links Verstehenden kein Problem mit antisemitischen Parolen und Bannern auf ihren Veranstaltungen, oder damit, mit islamistischen und rechten Gruppierungen (wie etwa den Grauen Wölfen) gemeinsam zu demonstrieren.
Dass vom angeblichen ‘Genozid in Gaza’ gefaselt wird, die Shoah relativiert wird, gegen Jüdinnen und Juden gehetzt und von einer angeblich zionistisch kontrollierten Lügenpresse fabuliert wird etc., gehört hier nicht zur Ausnahme, sondern quasi zum guten Ton. Einhellige Posts findet man bei diesen Gruppen quer durch die Bank.
In Frankfurt beispielsweise gab es in den letzten Wochen mehrere solcher Kundgebungen:
Am Freitag, den 13. Oktober, gab es eine Spontankundgebung, zu der über die sozialen Netzwerke von ‘Free Palestine FFM’ aufgerufen wurde – einem Account, der in der Beschreibung eine “Kampagne des Palästina e. V.” genannt wird, die sich “Für die Freiheit Palästinas und für ein Ende des (Siedlungs)kolonialismus, der Besatzung & des Imperialismus” einsetze.
An der Versammlung nahmen etwa 200 Menschen teil; es wurden antisemitische Parolen wie “Kindermörder Israel”, „Von Frankfurt bis nach Gaza, Yalla Intifada!“, oder „From the River to the Sea – Gaza will be free” gerufen1.
Die am Samstag darauf folgende Kundgebung in Frankfurt auf dem Roßmarkt mit rund 250 Teilnehmenden wurde von Palästina e. V. – also dem Verein, von dem auch die Kampagne ‘Free Palestine FFM’ ausgeht, angemeldet. Auch hier dominierten wieder antisemitische und verschwörungstheoretische Parolen: „Deutsche Presse, Lügenpresse“, „Deutschland finanziert, Israel bombardiert“, „Stoppt den Völkermord, stoppt den Kindermord“.
Auf diversen Plakaten sind Sprüche zu lesen, die eindeutig die Shoah relativieren und eine Schuldumkehr betreiben. Auf einem der Plakate ist zu lesen: „Palästinensisches Blut ist der Preis der Nazi Fehler. Stoppt das Massaker“. Dieser Ausspruch kann auf zweifache Weise gelesen werden: Entweder – das wäre die wohlwollendere Lesart – ist mit dem ‘Fehler’ der Nazis der Holocaust selbst gemeint, aus dem die Staatsgründung Israels resultiert sei und daraus das angebliche israelische ‘Massaker’ in Gaza. Auch das wäre schon problematisch: nicht nur, weil die militärischen Angriffe Israels gerade kein Massaker an Zivilist:innen sind, sondern eine auf militärische Ziele und Strukturen der Hamas zielende Kriegshandlungen, bei denen leider auch zivile Opfer zu beklagen sind; sondern auch, weil ‘der Preis des Nazi-Fehlers’ – des Holocaust – eben nicht der massenhafte Mord an Palästinenser:innen, sondern an den Opfern des Holocaust ist. Auch hier ist also schon eine Täter-Opfer-Umkehr impliziert.
Die zweite mögliche Lesart des Spruches ist an Ekelhaftigkeit kaum zu überbieten: Der genannte ‘Nazi-Fehler’, aus dem das Vergießen von ‘palästinensichem Blut’ angeblich resultieren solle, könnte hier auch meinen: Der Fehler der Nazis sei es gewesen, nicht alle Jüdinnen und Juden ermordet zu haben, und deshalb müssten jetzt Palästinenser:innen leiden. Dann forderte der Spruch, dass die Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus hätte vollendet werden sollen. Diese Lesart ist leider nicht gar so weit hergeholt, da man ähnliche Aussagen immer wieder auf Palästina-Kundgebungen antrifft; auch ist das nicht weiter verwunderlich, ist dies doch genau die Forderung, in deren Tradition auch die Hamas seit ihrer Gründung steht. In ihrer Gründungscharta ist und war immer schon nachzulesen, dass es ihnen zuvorderst um die Vernichtung von Jüdinnen und Juden geht. Die Hamas schließt damit an den früheren Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin Al-Husseini an, der aus vollster Überzeugung heraus mit Hitler zusammengearbeitet und antisemitische Propaganda in Nahost verbreitet hatte. Die sogenannte Palästina-solidarische Bewegung, sei es islamistischer, säkularer oder linker Couleur, hätte immer schon wissen können, wofür die Hamas steht, und ein Großteil weiß es auch. Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 können sie nicht mehr sagen, sie hätten nicht gewusst, was die Forderung “From the River to the Sea” konkret bedeutet: Vernichtungsantisemitismus.
Die Anmelderin der Frankfurter Kundgebung, Aitak B., legitimierte laut einem Artikel der FAZ vom 13. Oktober 2023 den Terror der Hamas, die Morde an Zivilist:innen, die Entführungen, die Vergewaltigungen von Frauen*, mit den Worten: „Der Befreiungskampf hat jetzt diese Form genommen, und in dieser Form wehren sich die Palästinenserinnen und Palästinenser gegen 100 Jahre Siedlerkolonialismus und 75 Jahre Besatzung“. Sie verstehe nicht, wie „man 600 Meter entfernt von einem Freiluftgefängnis, was Gaza ist, ein Festival veranstalten kann“. Es bleibt unbegreiflich, wie man eine derart verhärtete Reaktion auf das extremst brutale terroristische Massaker an Zivilist:innen zeigen kann, die im Prinzip auf die Formel zusammenzuschrumpfen ist, dass – wieder einmal – die Juden ‘selber schuld’ seien. Darauf angesprochen, dass das Festival auf dem Staatsgebiet von Israel stattfand, sprach sie zudem Israel das Existenzrecht ab mit den Worten: „Meine Interpretation ist eine andere“2.
Beworben wurde die Frankfurter Kundgebung auch von drei weiteren Organisationen, die wir im Folgenden kurz beleuchten wollen.
Darunter waren die “Studis gegen rechte Hetze”. Sie beschreiben sich selbst als “Zusammenschluss anti-rassistischer Studierender in Frankfurt am Main” an der Goethe-Universität. Auf dem Campus der Goethe-Universität kam es auch am 31. Oktober zu einer Versammlung von anti-israelischen Protestierenden; auch hier waren wieder die üblichen antisemitischen Parolen vom angeblichen Genozid in Gaza zu hören und zu sehen. Die Gruppe fiel in der Vergangenheit immer wieder durch israelbezogenen Antisemitismus, aber auch durch das Verteilen pro-russischer Propaganda am Campus oder das handgreifliche Stören einer Diskussionveranstaltung zum Thema Verschleierung mit Naila Chikhi auf3. Sie haben eine enge Verbindung mit der MLPD in Frankfurt und arbeiten mit dieser bei zahlreichen Gelegenheiten zusammen.
Die Demo bewarb auch das Netzwerk Samidoun, das ebenfalls lange tradierte Kontakte zur MLPD unterhält. Samidoun ist eine Vorfeldorganisation der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), eine sich als marxistisch-leninistisch verstehende, nicht-religiöse Terrorgruppe, die unter anderem 1977 in Absprache mit der RAF (Rote Armee Fraktion) ein Flugzeug entführte. Das Netzwerk Samidoun, das kürzlich in den Medien die Runde machte, weil es am 07. Oktober in Berlin Süßigkeiten verteilte, um die antisemitische Gewalt der Hamas zu feiern, wurde erst vor wenigen Tagen in Deutschland verboten.
Wenige Tage nach den unfassbar brutalen und menschenverachtenden Terrorattacken der Hamas postete Samidoun Deutschland auf Social Media ein Video von Rangeleien mit der Polizei auf einer Pro-Palästina-Demo. Samidoun kommentierte hierzu: “Die zionistische Besatzung ist nicht nur in Palästina, sondern auch hier in Deutschland”6. Eine perfide Art, dem antisemitischen Wahn Ausdruck zu verleihen: Suggeriert wird hier, dass die Polizei und der Staat in Deutschland zionistisch ‘besetzt’ seien, also im Klartext: dass ‘die Juden’ dahintersteckten. Wenn Samidoun in regelmäßigen Abständen in ihren Posts benennt, wer aus ihrer Sicht ‘der Feind des palästinensischen Volkes’ sei, nämlich “der zionistische Feind”, dann ist klar: Gemeint sind Jüdinnen und Juden. Die Propaganda von Samidoun schürt eine aktive Bedrohungslage für sie, wenn zum ‘tapferen und standhaften’ Kampf gegen ‘den zionistischen Feind’ mobilisiert wird.
Die Kundgebung in Frankfurt wurde zudem von der Migrantifa Rhein-Main, bis vor Kurzem noch Migrantifa Mainz, beworben. Die Gruppe war auch in Wiesbaden präsent, und wir fanden uns in der Vergangenheit, zähneknirschend, in einigen breiten Bündnissen mit der Gruppe wieder. Beispiele hierfür sind das Bündnis gegen rechte Netzwerke in der Polizei oder das Bündnis im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss zu dem rechts-terroristischen Anschlag in Hanau. Nachdem uns in den letzten Monaten aber das Ausmaß der antisemitischen Äußerungen und der Aggressionen dieser Gruppe bekannt geworden ist, müssen wir uns als antifaschistische Gruppe noch stärker fragen, ob und inwieweit Zweckbündnisse überhaupt vertretbar sind.
In Mainz organisierte die Gruppe beispielsweise eine Demonstration zum “Nakba-Tag” im Mai 2023, sowie unter dem Titel “Israel? Kein Grund zum Feiern” einen Gegenprotest zu einer pro-israelischen Kundgebung in Frankfurt im September 2023. Im Juni zeigten sie den Film “Zeit der Verleumder” an der Mainzer Uni. Außerdem solidarisierte sich die Gruppe mit der vorhin genannten Anmelderin der Kundgebung in Frankfurt, als diese bei einer Pressekonferenz im Kontext der Kundgebung wegen “Verdacht auf Volksverhetzung” festgenommen wurde. Auf dem X-Account der Gruppe werden die Parolen “Yallah Intifada” und “From the river to the sea” oft und gerne als Abschlussformeln ihrer Beiträge verwendet.
Einer der Hauptakteure der Gruppe, Hasan Ö., war zudem ehemals Pressesprecher der Fridays For Future Ortsgruppe Mainz. Er hat antisemitische und israelfeindliche tweets vom Account “FFF international” verantwortet, in denen etwa palästinensische Terroristen als ‘Märtyrer’ gegen den ‘Apartheidsstaat’ verklärt wurden. Er wurde dafür von FFF Deutschland ausgeschlossen. Allerdings ist die internationale FFF-Bewegung wiederum ja auch durch antisemitische Haltungen aufgefallen4.
Eher szeneintern im linksalternativen Umfeld erregte er schon weit früher Aufmerksamkeit, zum Beispiel als er vor dem Haus Mainusch dort ausliegende Flyer gegen Antisemitismus verbrannte. Außerdem fiel er durch Gewaltandrohungen und aggressives Verhalten auf5.
Auf den Klimaprotesten in Lützerath hatte Hasan einmal eine Jacke mit einem Bild von Leila Chaled getragen, einem führenden Mitglied der terroristischen PFLP, die sich 1969 und 1970 aktiv an Flugzeugentführungen beteiligt hatte. Hasan tweetete auch schon im Kontext der Nakba-Demos im Mai: “free Palestine from german guilt” über den Account von “FFF International”6.
Diese in den letzten Jahren in der deutschen Linken populär gewordene Parole wird auch im Kontext der erneuten anti-israelischen Eskalationen wieder vorgetragen. Palästina müsse demzufolge angeblich von der deutschen Schuld und deren Auswirkungen befreit werden. Das heißt nichts anderes, als die Forderung nach einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Shoah, aus der sich die fundamentale Verantwortung zum Schutz jüdischen Lebens ableitet.
Schon Ende der 60er forderten Linke, dass endlich Schluss sein müsse mit dem „Judenknax“. Es seien nun die Juden bzw. Israel als „Kollektivjude“, der ein mörderisches Regime gegen die Palästinenser:innen etabliert habe. Die geschichtsrevisionistische und NS-verharmlosende Gleichsetzungen Israels mit Nazi-Deutschland findet sich seit jeher und auch aktuell immer wieder quer durch alle politischen Lager.
Eine der ersten Folgen dieser Forderung war am Jahrestag der Novemberpogrome 1969 ein Bombenanschlag der Tupamaros-West-Berlin auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin, der nur knapp scheiterte. Ein weiteres Beispiel: In einem terroristischen „Joint Venture“ der PFLP und der „Revolutionären Zellen“ entführten diese 1976 ein Flugzeug, um die Freilassung inhaftierter Terrorist*innen zu erpressen. In einem Terminal im ugandischen Entebbe selektierten die deutschen Terorrist:innen jüdische und solche Passagiere, die sie dafür hielten, von den übrigen Geiseln. Letztere wurden freigelassen. Israelische Spezialeinheiten befreiten die übrigen Geiseln schließlich.
Die Kritik an diesem Vorgehen wie auch an dem Antisemitismus der antiimperialistischen Linken nach ‘68, wie er von Tupamaros West-Berlin, RAF, Bewegung 2. Juni und den Revolutionären Zellen vertreten wurde, fand erst spät und nur bedingt Widerhall in innerlinken Diskursen. Schließlich wähnte man sich im antiimperialistischen Freiheitskampf lange auf der vermeintlich guten Seite und ließ sich bereitwillig von palästinensischen Terrororganisationen an der Waffe ausbilden. Der eigene Antisemitismus wurde auf den Staat Israel projiziert und in falscher Identifikation mit palästinensischen Terrorgruppen als „Widerstandbewegungen“ konnte er endlich wieder mit Taten ausgelebt werden.
Nichts Anderes lässt sich auch heute noch beobachten, wenn im Einklang mit der extremen Rechten ein Ende des “Schuldkults” und erinnerungspolitische Wenden propagiert werden, wenn Zionismus mit NationalSozialismus gleichgesetzt wird, wenn Jüdinnen und Juden weltweit als Verantwortliche für den Staat Israel identifiziert werden, wenn das Absprechen des Existenzrechts Israels also in letzter Konsequenz dem Absprechen des Existenzrechtes für Jüdinnen und Juden gleichkommt.
Und auch heute wähnen sich nicht wenige Linke auf der „guten Seite“, wenn sie sich mit islamistischem Terror als vermeintlich antiimperialistischen Freiheitskampf identifizieren. Wie falsch diese Identifikation ist, zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf Kundgebungen der letzten Wochen: Teilweise standen dort Linke, Islamist:innen und Graue Wölfe Seite an Seite. Und die vermeintlich Progressiven skandieren dabei ausgerechnet die aus dem kurdischen Befreiungskampf stammende, und auch bei den Protesten gegen das iranische Mullah-Regime populär gewordene, Parole „Jin, Jiyan, Azadî“, also „Frauen, Leben, Freiheit“. Dies ist absurd, da es doch die regionale, imperialistische Großmacht Iran ist, die die Hisbollah und die Hamas hauptsächlich finanziert; und es ist die alles andere als antiimperialistische Türkei, welche der Hamas den Rücken stärkt, während sie gleichzeitig Kurdistan in Schutt und Asche legt. So scheint auch heute der Antiimperialismus einiger Linken zuvorderst dafür zunütze, den eigenen Antisemitismus ausagieren zu können.
Nichts davon hilft dabei, das enorme Leid der Palästinenser:innen im Gaza-Streifen zu mindern. Seit Jahren leidet auch ein nicht geringer Teil der palästinensischen Zivilbevölkerung unter der Gewalt, die von der islamistischen Hamas perpetuiert wird. Hilfsgelder und -güter werden für den Terror gegen Israel veruntreut, Kinder zum Hass erzogen, Homosexuelle, Frauen und progressive Kräfte systematisch unterdrückt. Die letzten Wahlen fanden 2006 statt; wie auch im Westjordanland, wo die nicht minder korrupte Fatah seitdem herrscht. Trotz der auch in der Zivilbevölkerung weit verbreiteten islamistischen und antisemitischen Ideologie, gab es noch im Sommer 2023 mehrere Proteste gegen die Hamas im Gazastreifen, bei denen es um die schlechten Lebensbedingungen und die häufig ausfallende Stromversorgung ging. Diese wurden von der Hamas gewaltsam aufgelöst7. Die internationale Solidarität mit diesen regimekritischen Palästinenser:innen bleibt allerdings größtenteils aus; sie scheinen nicht diejenigen “Stimmen der Unterdrückten” zu sein, die die antiimperialistische Linke zu hören wünscht.
Sich nun auf die Seite einer der wesentlichen Verursacher dieses Leids zu schlagen, der Kumpanei mit Islamisten zu frönen und die Massaker an Jüdinnen und Juden zu relativieren oder gar zu bejubeln, bezweckt das Gegenteil von dem, was viele sogenannte palästina-solidarische Gruppen angeblich erreichen wollen: Es bestärkt eben jene, die aus dem Leid politisches und finanzielles Kapital schlagen und daher kein Interesse an irgendwelchen Lösungen haben: nämlich die Hamas, der Islamische Dschihad, die Fatah, die Hizbollah und das iranische Regime.
Für eine progressive, emanzipatorische Linke muss aber doch klar sein: Islamistische, menschenverachtende und autoritäre Gruppierungen, Reaktionäre jeder Coleur, können keine Partner im Kampf um ein gutes Leben für alle sein! Dazu gehört selbstredend auch eine klare Absage an all diejenigen, welche den islamistischen Terror missbrauchen, um Rassismus zu schüren und den eigenen Antisemitismus auf andere zu projizieren. Insbesondere die AfD, aber auch weite Teile der sogenannten bürgerlichen Mitte verorten Antisemitismus nicht erst seit den jüngsten Anschlägen einzig bei Musliminnen und Muslimen. Gleichzeitig strich noch vor wenigen Wochen eine urbayrische Partei, deren Spitzenkandidat im Wahlkampf durch antisemitische Flugblätter und NS-Verherrlichung in seiner Jugend auffiel, Rekordergebnisse ein. Und dennoch heißt es, wer Antisemit sei oder sich antisemitisch äußere, sei nicht Deutsch, gehöre nicht hier her. Wenn man in diesem Sinne alleine die Wählerschaft von AfD und Freien Wählern nimmt, wäre Deutschland, das Land des industriellen Massenmords an Jüdinnen und Juden, ganz schön leer. Entsprechend dieser Externalisierung ist die deutscheste aller Forderungen die Abschiebung wegen antisemitischer Einstellungen. Abgesehen davon, dass man Aiwanger, Hinz und Kunz nicht abschieben kann, ist das einzige, was mit diesem plumpen Populismus abgeschoben würde, die gesellschaftliche Verantwortung und das einzige, was gewonnen würde, eine weitere Radikalisierung (in Deutschland und im Ausland).
Dass Antisemistismus sowohl in Teilen der Linken, der Rechten und auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verbreitet ist, kann nur verstanden werden, wenn man sich damit auseinandersetzt, was Anitsemitismus bedeutet. Antisemitismus ist nach Adorno das “Gerücht über die Juden”. Antisemitismus ist nach Rensmann die “größte Verschwörungstheorie der Welt”. Für die Antisemiten und Antisemitinnen ist er nach Satre “Weltanschauung und Leidenschaft”, allen Fakten und Argumenten zum Trotz. Angesichts gesellschaftlicher Zwänge ist er der Grund, warum Antisemit*innen gut schlafen im wahnhaften Glauben, dass ganz sicher jemand anderes Schuld hat. So werden alle Widersprüche und Zumutungen der kapitalistischen und partriarchalen Verhältnisse auf Jüdinnen und Juden oder – etwas versteckter- auf Israel projiziert.
Gerade für Linke sollte es aber der Anspruch sein, sich eben nicht mit solchen Scheinwahrheiten zu begnügen.
Wenn Linke im postnazistischen Deutschland sich nicht ernsthaft damit auseinandersetzen, wie sich unreflektierte antisemitische Denkmuster bei ihnen äußern, wenn sie dazu die deutsche Geschichte vergessen oder umdeuten will, wenn die Linke weltweit, ob nun im akademischen oder aktivistischen Kontext, sich nicht ihres Wahns entledigt, dann schmeißt sie jedes emanzipatorische Potential über Bord. Dann ist mit ihnen keine Politik zu machen.
Wir müssen Antisemitismus auf allen Ebenen entgegentreten und bekämpfen. Wir müssen solidarisch mit Jüdinnen und Juden, mit allen Betroffenen von antisemitischen Angriffen sein.
Gegen jeden Antisemitismus!
1 – https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-demo-pro-palaestina-hauptwache-rossmarkt-ermittlungen-israel-nahost-92643652.html
6 – https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/fridays-for-futures-tweets-against-israel/, ganz unten
7 – https://www.israelnetz.com/proteste-gegen-hamas-in-gaza/ ; sogar: https://www.hrw.org/de/news/2018/10/23/palaestina-behoerden-zerschlagen-kritik