Zum 75. Jahrestag der Bombardierung Wiesbadens veranstaltet die Stadt am 2. Februar um 18 Uhr eine „Gedenkfeier“ – allerdings nicht für die Opfer der deutschen Vernichtungs- und Kriegspolitik. Im Merkurist-Artikel heißt es diesbezüglich unkritisch:
„Immer weniger Zeitzeugen können von den Schrecken erzählen, die sie im Zweiten Weltkrieg erlebt haben. So auch in der Nacht auf den 3. Februar 1945, als bei einem großen Bombenangriff Häuser, Familien und Leben zerstört wurden. 516 Menschen starben bei dem Angriff, 28.000 wurden obdachlos. Um an diese Nacht und die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern, veranstaltet die Stadt am 2. Februar eine stille Gedenkveranstaltung.“ [*]
Allein, die Wiesbadener*innen, die in dieser Nacht im Bombenkeller ausharrten, als Zeitzeug*innen zu bezeichnen, hinterlässt bei uns einen bitteren Nachgeschmack. Es enthebt die Stadtbevölkerung symbolisch von jeglicher Verantwortung und stilisiert diese zu unbeteiligten Zeug*innen und passiven Opfern. Darüber hinaus ist es respektlos zu suggerieren, die Wiesbadener*innen, die einen Bombenangriff erlebt haben, hätten in gleicher Weise von den „Schrecken“ des Zweiten Weltkriegs zu berichten wie Verfolgte und Lagerinsassen.
Die Wiesbadener Stadtbevölkerung reiht sich damit selbst in eine große Opfergemeinschaft ein. Die gleiche Stadtbevölkerung, welche nur wenige Jahre zuvor die große Synagoge am Michelsberg im Zuge der Novemberprogrome anzündete, das Inventar zerhackte und dieses erneut anzündete und welche noch das KZ „Unter den Eichen“ betrieb, bis die verbleibenden Insassen am 23. März 1945 auf einen Todesmarsch geschickt wurden.
Dass es sich dabei nicht nur um unglückliche Formulierungen einer Regionaljournalistin, sondern um ein verheerendes Beispiel für deutsche Verdrängungspolitik handelt, zeigt die im Artikel zitierte Stellungnahme des Oberbürgermeisters Gert-Uwe Mende: „Intoleranz, Hass und Gewalt waren die Ursachen für diesen Krieg, der nicht nur Städte zerstört, sondern auch zu millionenfachem Mord in den deutschen Vernichtungslagern geführt hat.“ Mende setzt die im Zweiten Weltkrieg zerstörten deutsche Städte damit nicht nur mit den Opfern der deutschen Vernichtungsideologie gleich, sondern verharmlost diese auch noch als „Intoleranz“. Es grenzt erschreckend an Geschichtsrevisionismus, wenn dabei impliziert wird, es sei auch die „Intoleranz“ der Alliierten gewesen, die zur Zerstörung deutscher Städte geführt habe und nicht der von Deutschland begonnene Vernichtungskrieg.
Wir sagen: Deutsche Täter*innen sind keine Opfer! In unseren Augen muss es das Ziel von Erinnerungspolitik sein, die Verantwortung der deutschen Bevölkerung für die Verbrechen im nationalsozialistischen Regime hervorzuheben und das behauptete Unwissen über diese sowie die selbstzugeschriebene Opferrolle als Ideologie zu entlarven.
Wenn ihr euch mehr mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Wiesbadens auseinandersetzen möchtet, lest unter http://ki-wi.website/stadtrundgang/ nach oder nehmt an einem unserer Stadtrundgänge teil.
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