Redebeitrag gehalten am 25.11.2021 anlässlich der Demonstration “INTERNATIONALER TAG GEGEN GEWALT AN FLINTA*” in Wiesbaden. —

Wir halten diesen Redebeitrag als Teil der Gruppe Kritische Intervention
Wiesbaden (KI:Wi) aber vor allem sprechen wir als Betroffene, die einen
Aufarbeitungsprozess von patriarchaler Gewalt in der eigenen Struktur
anstoßen mussten.

Patriarchale Gewalt wütet in allen Teilen unserer Gesellschaft auch in
vermeintlichen linken Freiräumen. Dort nimmt sie oft Formen psychischer
und emotionaler Gewalt an. Dies ist ein Fakt, und er darf nicht mehr
hingenommen werden.

Psychische Gewalt und sogenanntes Gaslighting, also eine extreme Form von Manipulation, die die Betroffenen in grundlegenden Zweifel an ihrer
eigene n Wahrnehmung treibt, ist schwer zu fassen. Auch bei uns hat es
lange gedauert, bis wir diese Gewalterfahung als solche anerkennen
konnten, und noch länger , bis wir sie anderen gegenüber als solche
benennen konnten. Es macht uns wütend und frustriert, dass auch die
emotionale Aufarbeitungsarbeit hiervon oft an Frauen hängenbleibt.
Wir haben keinen Bock mehr darauf, die Auseinandersetzung mit den
unangenehmen Seiten auch linker Männlichkeit alleine zu führen. Wir
erwarten von unseren männlichen Genossen, ihre Verantwortung hierfür zu übernehmen. Diesen Prozess haben wir in den letzten Jahren begonnen,
aber natürlich ist unsere Gruppe noch lange nicht fertig mit dieser Arbeit.
Im Gegenteil: es gibt noch viel zu tun.

Viele von euch haben sicherlich die inzwischen öffentliche
Auseinandersetzung um das Sabot in Wiesbaden mitbekommen. Uns daran
zu beteiligen, ist zentraler Teil unserer Gruppenauseinandersetzung mit
Mackertum in der linken Szene. Auch, weil wir die Räumlichkeiten des
Sabots für zahlreiche Veranstaltungen genutzt haben, aber vor allem, weil
einer der Haupttäter patriarchaler Gewalt im Sabot sein sehr geschicktes
und brutales Machtspiel auch bei KI:Wi jahrelang treiben konnte. Darunter
leiden viele von uns noch heute. Dieser Haupttäter ist seit Beginn 2018
nicht mehr Teil von KI:Wi und ist inzwischen absolute No Go Person.
Dass er jedoch am Ver such einer „Rettung des Sabots“ beteiligt war,
beweist, dass dieses Problem fortbesteht. Ein linker Freiraum in
Wiesbaden ist zwar wünschenswert, aber kann aus der derzeitigen
Szenestruktur heraus nicht ohne grundlegende Aufarbeitung realisiert
werden.

Wir haben uns bei KI:Wi für diesen langen und teilweise schmerzhaften
Prozess entschieden. Hierfür erachten wir es als unbedingt notwendig, das
Geschehene selbstkritisch zu analysieren in unbedingter Solidarität mit
den Betroffenen (zumeist FLINTA*).

Wir haben uns ebenso bewusst entschieden, diese Aufarbeitung nicht
FLINTA* exklusiv zu leisten. Auch wenn es mal wieder vor allem
Frauen* waren, die diese Prozesse anstoßen mussten und von Anfang an
den Großteil der emotionalen Arbeit leisteten. Wir wollen nicht
hinnehmen, dass die direkten Opfer von Gewalt auch noch die Arbeit der
Bewältigung alleine stemmen sollen. Wir sind deshalb dabei, einen Raum zu schaffen, in dem sich auch cis Männer an der Aufarbeitung zu
beteiligen haben. Das geht nicht, ohne sich selbstkritisch weiterzuentwickeln. Wer nicht Teil der Lösung ist, ist Teil des Problems.

Es ist schwer zu ertragen, dass sich Formen psychischer Gewalt über Jahre
hinweg zentral in einer vordergründig emanzipativen Struktur etablieren
können. Wir wollen uns hier damit auseinandersetzen, wie dies in unserem
Kontext funktionieren konnte. All zu oft wird versucht, diejenigen
abzuwürgen, die Probleme klar ansprechen. Wir haben keinen Bock mehr
auf dieses Manipulationspiel. Wir brechen unser Schweigen.

Wie in vielen linken Gruppen verschwamm auch in den Kontexten von
Sabot und KI:Wi die Grenze zwischen politischer Zusammenarbeit und
zwischenmenschlicher Beziehung. Dies ist an sich nicht problematisch.
Doch wie so oft erfuhr auch hier die feministische Feststellung „das
Private ist politisch“ viel zu wenig Beachtung. Statt mackriges Verhalten
klar zu problematisieren, wurde weggeschaut und kleingeredet. Dies spielt
Tätern in die Hände.

Anstatt anzuerkennen, dass der erhoffte linke Freiraum immer wieder
scheiterte, wurde an seiner Illusion festgehalten. Aufgrund dieser Illusion
wurden Widersprüche ausgeblendet und nicht ausgetragen. Es entstand
eine permanente Angst, die mitunter hart erkämpfte gewohnte Umgebung –
die politische Wahlfamilie – könnte zusammenbrechen. Das Fehlen von
erlebter, bedingungsloser Solidarität hielt die betroffenen Frauen* in
gewaltvollen Beziehungen fest. Die Manipulationen zogen sich nicht nur
durch die persönlichen Beziehungen, sondern beeinflussten auch die
Gruppendynamik. Erst im Nachhinein wurde uns das Ausmaß der
psychischen Gewalt bewusst.

Es wurde ein beständiges Drohszenario aufgebaut, dass die Struktur
zusammenbrechen würde, wenn nicht das vermeintliche Gruppeninteresse
über die individuellen Bedürf nisse gestellt werde. Dies führte dazu, dass
viele von uns Dinge unterstützten, die wir eigentlich nicht unterstützen
wollten.

Brach jemand unter diesem Druck zusammen oder wehrte sich, wurde die
Person durch die Täterstruktur isoliert und der offenliegende Widerspruch
wurde nicht aufgearbeitet, sondern als persönliche Schwäche ausgelagert.
Oftmals verbunden mit sexistischen Zuschreibungen.
Und wenn sich Kritik nicht mehr zum Schweigen bringen ließ, wurde sie
eben vereinnahmt. Gerade feministischer Widerspruch wurde plakativ
übernommen, statt sich ernsthaft damit auseinander zu setzen und die
eigene politische Praxis darauf zu überprüfen.

Wieder einmal war männerbündisches Verhalten ein großer Teil des
Problems. Dem Haupttäter gelang es geschickt ein Netzwerk um sich
herum zu errichten, in dem vor allem cis Männern zentrale Positionen
zukamen. So konnte das eigene Dominanzverhalten ausgelebt werden und
wirken, ohne vom Rest der Gruppe angreifbar zu sein. Das Prahlen mit vermeintlichen Heldentaten und Erfahrungshoheit festigte dabei den
persönlichen Status und beugte der Kritik von weniger erfahrenen
Menschen vor auch wenn diese verdammt nochmal Recht hatten, so
gewachsene Zustände zu kritisieren. Die Tradition von Männerbünden ist
ein Relikt, das von linken Gruppen nicht reproduziert werden darf, sondern
angegriffen werden muss!

Wir verstehen diesen Kampf als laufenden Prozess mit dem wir noch lange
nicht abgeschlossen haben. Auch und gerade, wenn es unangenehm wird
haben Cis Männer durch Selbstkritik einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Wer sich dieser Männlichkeitskritik nicht stellen möchte, ist eben nicht
Teil der Lösung sondern Teil des Problems!

Diese Auseinandersetzung ist auch öffentlich und über Gruppenzusammenhänge hinaus notwendig. Für diesen Zweck wurde die
Webseite freiraumbruch.blogspot.de ins Leben gerufen. Auf dieser Seite
werden bewusst nicht nur Betroffenenperspektiven abgebildet, sondern
auch die Reflexionen der Menschen, die das Geschehen mit ermöglicht
haben. In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass Solidarität offenen und ehrlichen Austausch voraussetzt. Wir müssen uns als Betroffene vernetzen und vertrauen. Nur dadurch konnten wir diese Manipulationen und Machtverhältnisse aufbrechen. Um auf wirkliche Freiräume hinzuarbeiten muss dies gemeinsam mit Anderen fortgeführt werden.