„Judenhaus“ – Ludwigstraße 3


Dieses Haus war eines von schätzungsweise 42 bis 53 sogenannten „Judenhäusern“ in Wiesbaden. Dabei handelte es sich meist um Immobilien, welche jüdischstämmigen Besitzer*innen durch Enteignung genommen wurden. Anschließend wurden von den Nazis als „Juden“ Verfolgte in diese Häuser zwangsumgesiedelt. Sie lebten in diesen Häusern unter engsten Bedingungen bis zu ihrer Deportation. Der Zweck solcher Häuser war es, die Kontrolle über die jüdischen Einwohner:innen zu erleichtern und gleichzeitig andernorts Wohnraum für Nichtjüd:innen zu schaffen.

Die rechtliche Grundlage hierfür wurde 1939 mit dem Gesetz über die „Mietverhältnisse mit Juden“ geschaffen. Die räumliche Ballung ermöglichte ein hohes Maß von Überwachung durch die Gestapo, also die „geheime Staatspolizei“, und weitere Repression, so zum Beispiel Ausgehverbote und das Verbot von Radios.

In dieses spezifische Haus musste 1940 unter anderem die Familie Stock ziehen. Zu diesem Zeitpunkt war das „Judenhaus“ bereits so überfüllt, dass die Familie im Geräteschuppen im Hof hausen musste. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung war den Geschwistern Josef und Rosel, zu diesem Zeitpunkt 6 und 3 Jahre alt, der Besuch von Kindergarten und Schule verboten. Weiter heißt es im Erinnerungsblatt der Spiegelgasse über sie:

„Mit der Deportation am 10. Juni 1942 wurden Josef und Rosel Stock zusammen mit ihren Eltern „nach dem Osten evakuiert“, wie auf der Karteikarte vermerkt wurde. Der Transport führte über Frankfurt und von dort mit mehr als 1000 Menschen nach Lublin. Dort wurden über 100 arbeitsfähige Männer, darunter auch James Stock, zunächst für einige Wochen zu Schwerstarbeit ausgesondert, bevor man sie in Majdanek 6 ermordete. Josef und Rosel Stock wurden mit ihrer Mutter direkt nach Sobibor weitertransportiert und dort im Gas ermordet.“

In ihrer Geschichte spiegelt sich die Grausamkeit der NS-Verfolgungsideologie wider, die auch vor Kindern keinen Halt machte. An diese Opfergruppe soll stellvertretend der Geschwister-Stock-Platz mit einer Stehle in der Bahnhofsstraße erinnern. Die Umbenennung des Platzes fand erst 1995 statt.

Aus Wiesbaden wurden mindestens 40 jüdische Mädchen und Jungen unter 14 Jahren in den industriellen Massenmord deportiert.

Diese Deportationen fanden nicht isoliert statt, sondern waren eingebettet in gesellschaftliche, politische und rechtliche Strukturen. Die ideologische Grundlegung und tödliche Umsetzung der nationalsozialistischen sogenannten „Rassenpolitik“ wurde auch an vielen anderen Orten in Wiesbaden vorbereitet, verwaltet und maßgeblich vorangetrieben. Ein Teil dieses Verfolgungssystems war auch die sogenannte „Euthanasie“, also die Ermordung der von den Nazis als „minderwertig“ bezeichneten Menschen. Auf dieses Thema wird an den Stationen, dem ehemaligen „Amt für Erb- und Rassenpflege“ und heutigen Landeshaus und den „Städtischen Kliniken“ in der Schwalbacherstraße 72-74, näher eingegangen.

Audioerklärung zur Stadtrundgangsstation „‚Judenhaus‘ – Ludwigstraße 3“: