Kleine Synagoge – Friedrichstr. 33

Die heutige jüdische Gemeinde wurde 1946 neu gegründet, obwohl nur etwa ein Dutzend Überlebende der früheren Gemeinde zurückkehrten. Vor dem Nationalsozialismus befand sich hier im Hinterhaus der Friedrichstr. 33 die kleine orthodoxe Synagoge.

Foto der kleinen, orthodoxen Synagoge in der Friedrichstraße.

Der antisemitische Mob verwüstete während der Novemberpogrome 1938, der sogenannten „Reichspogromnacht“, die Inneneinrichtung. Diese Synagoge wurde zwar, im Gegensatz zu der größeren am Michelsberg, nicht angezündet, aber dies nur aus Angst um die umliegenden Wohnhäuser.

Im Hof vor dieser Synagoge mussten sich im Jahr 1942 mehrmals jüdische Wiesbadener:innen vor ihrer Deportation in die östlichen Vernichtungslager sammeln (ebenso wie übrigens auch die Wiesbadener Sinti und Sintize, Roma und Romnja). Im August 1942 hielt die traditionsreiche jüdische Gemeinde hier ihren letzten Gottesdienst ab. Noch im selben Monat mussten sich ca. 370 jüdische Menschen am Vorabend der letzten großen Deportation im Hof zur Registrierung einfinden, mit Gepäck und einem Schild mit ihren Personalien um den Hals gehängt, wie man auf diesem Bild sehen kann:

Der Hof vor der kleinen Synagoge wurde nicht nur am 01. Septemper 1942 als Registrierungsstelle zur Deportation missbraucht.

Eine dieser Personen war Mathilde Baum (geboren 1874). 14 Tage vor ihrer Deportation schrieb sie noch einen Brief an den bereits ins Ausland geflohenen Verwandten Paul Kester. In diesem Brief heißt es:

„Nun stehen wir alle auch davor, es können 8, 10, 14, 20 Tage darüber hingehen, […] aber jeder Tag, der so noch gut rumgeht, ist uns auch recht. Wir halten unseren Haushalt bis zur letzten Minute in gewohnter Weise aufrecht. Wir haben lange gute Tage gehabt und alle Bequemlichkeiten […]. Es wird auch mal anders gehen, Hauptsache, wir bleiben alle gesund. Unserer Nachbarschaft […] fällt es schwer, sich von ihren Brocken zu trennen. Es tut mir nur leid, dass ich euch früher schimpfte, wenn ihr die Füße auf die guten Stühle gestellt habt. Dies war alles für die Katz. An all dem Kram hänge ich nicht mehr […]. Wir sind guten Mutes, in der festen Hoffnung unsere Lieben wiederzusehen […]. Wir sind ruhig und hoffen, das uns auferlegte Schicksal alle tragen zu können. Alles geht mal vorüber […].“

Mathilde Baum kehrte nicht zurück, ebenso wie ein Großteil ihrer Familie. Die Nacht vor ihrer Deportation verbrachte sie gemeinsam mit den weiteren Jüdinnen und Juden in der demolierten Synagoge. Am nächsten Tag, dem 1. September 1942, wurden sie dann zu Fuß durch die Bahnhofstraße bis zur Verladerampe am Schlachthof getrieben. Mathilde wurde nach Theresienstadt gebracht und 1944 in Auschwitz ermordet.

Die Strecke an der Bahnhofstraße führt mitten durch die Stadt. Auch hieran wird deutlich, dass die Wiesbadener Bevölkerung die nationalsozialistische Verfolgung und Deportation aus ihrer Mitte offensichtlich direkt mitbekam. Größtenteils verschlossen sie die Augen davor, profitierten etwa von den Enteignungen jüdischer Wohnhäuser oder waren aktive Mittäter:innen.

Audioerklärung zur Stadtrundgangsstation „Kleine Synagoge“: