Auch die Städtischen Kliniken in der Schwalbacher Straße waren während der NS-Zeit Teil der Durchführung der sogenannten „Rassehygiene“.
Die Kliniken waren eine der lizensierten Anstalten, die Zwangssterilisationen durchführten. Hierfür wurden unzählige Männer und Frauen, die aus Sicht der Nazi-Ideologie nicht über eine vermeintlich „gesunde“ und „überlegene“ Erbanlage verfügten, zwangsweise operiert und damit zeugungsunfähig gemacht. Die Zwangssterilisationen wurden durch das am 14. Juli 1933 erlassene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ geregelt. Sie können in ihrer Logik als eine Art Vorstufe zur „Euthanasie“ verstanden werden, wie sie etwa in Hadamar umgesetzt wurde.
In Wiesbaden sind mindestens 800 Fälle von Zwangssterilisation dokumentiert. In den Akten werden häufig Gründe angegeben wie vermeintlicher „angeborener Schwachsinn“, Schizophrenie und Epilepsie. Aber auch Menschen, die nicht aus angeblich medizinischen Gründen als schädlich für das Konstrukt „Volkskörper“ angesehen wurden, sollten sich nicht fortpflanzen: Alkoholiker:innen, Straffällige, Homosexuelle oder politische Gegner:innen wurden ebenso zwangssterilisiert. Teilweise wurde die Operation auch zur Bedingung für die Entlassung aus einer psychiatrischen Anstalt gemacht. Die Opfer stammten unter anderem auch aus Waisenhäusern.
Amtsärzt:innen und Anstaltsleiter:innen konnten die Zwangssterilisation anweisen, die durch Operationen oder Strahlenbehandlungen durchgeführt wurde. Da alle Ärzt:innen dazu verpflichtet waren, jeden Verdacht auf Erbkrankheiten beim Gesundheitsamt zu melden, wurden z.B. Menschen aus der Arbeiterschicht häufig schon auf Grundlage eines Arztbesuchs zur Sterilisation verurteilt.
Es ist zudem mindestens ein Fall der Ausstellung eines gefälschten Todesscheins in den Städtischen Kliniken im April 1933 bekannt: Ein Arzt gab hier „Herzschwäche“ als Todesursache für einen verstorbenen Juden an, obwohl dieser deutliche Spuren von Misshandlungen durch die SA aufzeigte.
Insgesamt wurden mindestens 400.000 Menschen Opfer der Zwangssterilisation im NS. Zudem führten die medizinischen Eingriffe bei mindestens 6.000 Frauen und 600 Männern zum Tod. Lange Zeit wurden Opfer der Zwangssterilisation und „Euthanasie“ nicht rechtmäßig als NS-Opfer anerkannt. Sie konnten 2011 erstmals einen Antrag auf monatliche Entschädigungszahlungen von 291€ stellen.
Audioerklärung zur Stadtrundgangsstation „Städtische Kliniken“:
Quellen:
http://www.fr-online.de/wiesbaden/wiesbaden-die-vorstufe-der-euthanasie,1472860,27177432.html, abgerufen am 17.07.2016.
„Wiesbaden, Städtisches Krankenhaus“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen. http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/2080, abgerufen am 17.07.2016.
http://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/, abgerufen am 17.07.2016.