Das Haus Luisenplatz 8 wurde nach der Machtübernahme 1933 zunächst von der SA genutzt: Im Keller wurden Gewerkschafter:innen, Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen verhört, verprügelt und gefoltert. Später nutzte die Wiesbadener SA die Räumlichkeiten vom ehemaligen Landratsamt in der Lessingstr. 16.
Aber auch nachdem die SA aus diesem Gebäude hier ausgezogen war, wurde es weiter vom NS-Regime genutzt. Hier befand sich anschließend ein Sitz des „Reichsarbeitsdienstes“ (kurz: RAD). Diese Dienststelle war zuständig für das Gebiet Hessen-Nassau. Der Reichsarbeitsdienst organisierte die Grundausbildung von jugendlichen Jungen, und seit Beginn des Zweiten Weltkrieges auch von Mädchen.
Ab Juni 1935 musste jeder junge Mann vor seinem Wehrdienst einen sechsmonatigen Arbeitsdienst ableisten. Der RAD war also wichtiger Bestandteil in der ideologischen Erziehung der Jugend. Gleichzeitig war er ein zentrales Organ für die nationalsozialistische Wirtschaft. Ab Mitte 1944 übernahm der RAD zudem die sechswöchige militärische Grundausbildung am Gewehr.
Der Reichsarbeitsdienst betrieb in Wiesbaden aber zum Beispiel von 1942 bis 1944 auch ein Lager für Sowjetische Kriegsgefangene in der Calvinstraße. Die 50 Zwangsarbeiter waren in drei umzäunten Holzbaracken untergebracht, und standen unter Aufsicht der Wehrmacht.
Kriegsgefangene aus diesem Lager mussten unter anderem die Flak-Stellung auf dem Erbenheimer Fliegerhorst ausbauen. Von diesem Flugplatz aus starteten im Zweiten Weltkrieg etwa auch Flugzeuge zum Bombenangriff auf London.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass Wiesbaden (genauso wie jeder andere Teil des damaligen „Deutschen Reichs“) ein Rädchen in der Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie war. An diesem Haus hier befindet sich immerhin eine Hinweistafel. Es gibt aber in ganz Wiesbaden noch zahlreiche, teils versteckte Orte, an denen Täter:innen gearbeitet und gelebt haben, so z.B. die Dienststellen der Gestapo und der SS in der Paulinenstraße.
Audioerklärung zur Stadtrundgangsstation „Folterkeller der SA und Reichsarbeitsdienst“:
Quellen:
- Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde: „Topografie des Nationalsozialismus in Hessen : Wiesbaden, Lager für sowjetische Kriegsgefangene.“ Zugegriffen 14. August 2015. http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/2103
- Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde. „Topografie des Nationalsozialismus in Hessen : Wiesbaden, Reichsarbeitsdienst-Gau für Hessen-Nassau.“ Zugegriffen 14. August 2015. http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/xsrec/id/650/current/2/sn/nstopo?q=YTo0OntzOjExOiJzYWNoYmVncmlmZiI7czoxOToicmVpY2hzYXJiZWl0c2RpZW5zdCI7czozOiJvcnQiO3M6OToiV2llc2JhZGVuIjtzOjEwOiJ0cnVua2llcmVuIjtzOjE6IjEiO3M6NToib3JkZXIiO3M6Mzoib3J0Ijt9
- Kultusministerium Hessen: „Von der Lateinschule zum Ministerium: Die Geschichte des Gebäudes am Luisenplatz“. Zugegriffen 14. August 2015. https://kultusministerium.hessen.de/ueber-uns/von-der-lateinschule-zum-ministerium-die-geschichte-des-gebaeudes-am-luisenplatz
- „Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim“. Wikipedia, 15. August 2015. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Flugplatz_Wiesbaden-Erbenheim&oldid=145053534.