Ein Mahnmal in der Bahnhofstraße gedenkt der Sinti und Sintize sowie der Roma und Romnja aus Wiesbaden, die als sogenannte „Zigeuner“ kategorisiert und deshalb Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie wurden. Bereits seit 1940 führte die Wiesbadener Kriminalpolizei sie auf einer sogenannten „Zigeunerliste“. Am 27. Januar 1943 wurden über 100 von ihnen zunächst in der ehemaligen Synagoge in der Friedrichstraße gesammelt, eine weitere Station dieses Rundgangs. Von dort aus wurden sie zum Bahnhof gebracht, um dann in das sogenannte „Zigeuner-Familienlager“ nach Auschwitz-Birkenau deportiert zu werden. Insgesamt sind schätzungsweise ein Fünftel der Wiesbadener Sinti und Sintize, Roma und Romnja durch den nationalsozialistischen Völkermord ums Leben gekommen.
Sie wurden von den Nazis als sogenannte „außereuropäische Fremdrasse“ und angebliche „Asoziale“ verfolgt. Seit 1935 wurde ihnen die Eheschließung mit als „arisch“ eingestuften Partner:innen verboten. 1942 wurde ihre systematische Ermordung als „Vernichtung durch Arbeit“ angeordnet. Das heißt: Sie sollten alle deportiert und durch Zwangsarbeit oder in den Gaskammern ermordet werden. Außerdem wurden sie für medizinische Experimente missbraucht, die sie häufig das Leben kosteten. Schätzungsweise überlebte etwa ein Sechstel der 30.000 Sinti und Sintize, Roma und Romnja, die zumeist deutsche Staatsbürger:innen waren. Die Zahl der Opfer aus ganz Europa beträgt etwa eine halbe Million.
Sie waren zudem eine der NS-Opfergruppen, die lange und heftig um die Anerkennung ihres Leidens kämpfen mussten. Sie wurden auch nach Kriegsende weiterhin diskriminiert. So wurden sie beispielsweise in einer „Landfahrerkartei“ geführt. Und auch die sogenannten „erbbiologischen Forschungen“ wurden teilweise noch nach 1945 in der Bundesrepublik weitergeführt. Entschädigungszahlungen wurden dieser Opfergruppe häufig verwehrt, da ihre Verfolgung angeblich nicht rassistisch motiviert, sondern eine Verfolgung von Straffälligen gewesen sei. Auch die Errichtung des Wiesbadener Mahnmals musste erst in heftigen politischen Kämpfen durchgesetzt werden, bevor sie am 21. Mai 1992 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen wurde.
Dass solche Prozesse erst sehr spät und meist nur durch harte politische Kämpfe von Überlebenden und Opferverbänden in Gang kamen, zeigt eindrücklich, dass das Projekt der „Entnazifizierung“ und des menschlichen Wiederaufbaus im Nachkriegsdeutschland kaum ernsthaft angegangen wurde.
Übrigens wurde der Geschwister-Stock-Platz, der sich hier ein Stück die Bahnhofstraße hoch befindet, nach zwei jüdischen Kindern benannt. Die Umbenennung des Platzes fand allerdings auch erst 1995 statt. Die Geschwister Josef und Rosl Stock wurden 1942 im Alter von sieben und vier Jahren zusammen mit ihren Eltern deportiert und im KZ Sobibor ermordet.
Audioerklärung zur Stadtrundgangsstation „Mahnmal für die deportierten und ermordeten Wiesbadener Sinti und Roma“:
Quellen:
http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/Falter_2013-08-03-Gedenkstunde-Sinti.pdf, abgerufen am 18.07.2016.
http://www.wiesbaden.de/kultur/stadtgeschichte/gedenkorte/mahnmal-sinti-roma.php, abgerufen am 18.07.2016.
http://www.am-spiegelgasse.de/willkommen-in-der-spiegelgasse/geschichte-und-erinnerung/historische-orte/, abgerufen am 18.07.2016