Anlässlich der Demonstratin gegen rechte Strukturen in Polizei und Behörden am 24.10.2020 in Wiesbaden hielten wir eine Rede über Antisemitismus als Kontinuität rechten Terrors sowie staatliches “Versagen” im Kampf gegen diesen. Nachfolgend zum nachlesen:

Am 9. Oktober des letzten Jahres versuchte Stephan B. sich Zutritt in die Synagoge in Halle zu verschaffen; um dort einen Massenmord zu begehen. Nur die Stabilität der Tür; so wie sein Irrglaube, die Fenster seien kugelsicher, hielten ihn davon ab. Die Synagoge in Halle fragte zuvor nach Polizeischutz, der ihr versagt wurde. Eine Entscheidung, die Holger Stahlknecht, Innenminister Sachsen-Anhalts, auch nach der Tat noch rechtfertigt. Noch am Jahrestag bemängelte Stahlknecht, dass Polizeikräfte, die Synagogen bewachen würden, anderswo fehlten. 5 Tage später musste er öffentlich Stellung zum Antisemitismus nehmen, der in der Dienstelle der Bereitschaftspolizei Magdeburg seit 30 Jahren existiert und geduldet wird.

Und während die Deutschen sich auf die Schulter klopfen fürs Holocaustdenkmäler bauen, schützen die Sicherheitsbehörden bestehende jüdische Einrichtung wenn nur mangelhaft. Deutsche Medien und Politik haben den Anschlag in Halle als Gelegenheit genutzt, um sich entrüstet und schockiert zu geben über diesen weiteren Einzelfall. Aber war es das?

Antisemitismus ist ein kontinuierlicher Bestandteil rechten Terrors. So jährt sich dieses Jahr auch der Sprengstoffanschlag am Bahnhof in Düsseldorf-Wehrhahn. Zehn Menschen wurden dabei teils lebensgefährlich verletzt, eine Frau verlor durch den Anschlag ihr ungeborenes Kind. Die größtenteils jüdischen Migrant:innen aus der ehemaligen Sowjetunion besuchten eine Sprachschule.

In der Nachbarschaft: Der Militaria-Laden eines stadtbekannten und überregional aktiven Neonazis, auf den schnell der Verdacht fiel. Es dauerte über 17 Jahre, bis Ralf S. festgenommen und ihm der Prozess gemacht wurde. Obwohl mehrere Zeugen aussagten, er habe ihnen die Tat angekündigt und vor ihnen mit der Tat geprahlt, wurde Ralf S. 2018 freigesprochen. Auch wenn der Ausgang weiterhin offen ist, legen auch diese verschleppten Ermittlungen nahe: Auf den Staat und seine Behörden scheint im Kampf gegen antisemitischen, rechten Terror kein Verlass zu sein.

In ein paar Wochen jährt sich zum vierzigsten Mal die Ermordung des Rabbiners Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke. Sie wurden am 19. Dezember 1980, nur wenige Wochen nach dem Oktoberfestattentat, in Erlangen ermordet. Ein Beispiel für die lange Tradition antisemitischer Anschläge im postnazistischen Deutschland.

Obwohl es hier schon sehr früh Hinweise gab, dass Personen aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann mindestens involviert waren, hat die Polizei über Monate hinweg innerhalb der jüdischen Gemeinde ermittelt. Noch immer ist die Tat nicht vollständig aufgeklärt, weil der Verfassungsschutz die Akten sperrt. Erinnerungen an den NSU sind da nicht zufällig. An konsequenter Aufklärung rechtsterroristischer Aktivitäten und Netzwerken haben deutsche Behörden heute wie früher kein Interesse.

Antisemitismus ist Alltag in Deutschland, von Jude als Schimpfwort im Klassenzimmer zum Israelkritiker in der Kneipe. Als am 27. Juni 2014 drei Männer versuchten, eine Synagoge abzufackeln, stellte das Oberlandesgericht Düsseldorf fest, dass es sich dabei um Israelkritik und nicht um Antisemitismus handelte.

In Deutschland vertreten 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung antisemitische Einstellungen, von überzeugten Nazis bis hin zu vermeintlich Linken. Der deutsche, antisemitische Mob im Wartezustand lässt sich, insbesondere in Krisenzeiten, immer wieder auch durch Verschwörungstheorien mobilisieren.

Antisemitismus zieht sich durch alle Milieus, politischen Lager und staatliche Institutionen. Auch in Hessen, wo Naziterroristen ihre Tötungslisten mit Polizeihilfe ausfüllen können.

Daniel Neumann, der Direktor der jüdischen Gemeinden Hessen, meinte auf die Frage, ob man sich als Jude in Hessen frei bewegen könne, dass das ginge, solange man nicht als Jude erkannt werde. Das ist der Zustand, in dem Jüdinnen und Juden leben müssen. Sobald sie erkannt werden, müssen sie Angst um ihr Wohl haben. Dieses Land hat kein Antisemitismusproblem, es ist eins. Es ist unsere Verantwortung Antisemitismus konsequent in all seinen Formen zu bekämpfen. Gegen jeden Antisemitismus!